Nordsee wir kommen
Im Dezember 2018 stand endgültig fest, 2019 fliegen wir zur Nordsee. Das Wetter wird schon irgendwie passen und alleine die Vorstellung, dass wir mit drei Flugzeugen (zwei UL`s und ein Motorsegler) vom Alpenrand zur Nordsee fliegen, ließ die Geschenke an Weihnachten fast zweitrangig werden.
Am 12.07.19 sollte die fünftägige Tour beginnen. Wir hatten ein schönes Haus auf Baltrum gefunden, welches nur wenige Gehminuten vom Flugplatz lag. Idealer Ausgangspunkt um von dort aus sämtliche Inseln anzufliegen und uns die Brise der gewissen „Moin – Mentalität“ durch die Seele wehen zu lassen.
Sowieso waren die Wörter „Brise“ „Moin“ und „Wasser“ genauso treue Begleiter wie „Quietschi“ unsere gelbe Quietscheente, die Kaddi und mich bei jeder ausgiebigen Tour begleitet.
Nach einigen Vorbereitungen war es dann soweit. Um 08:00 Uhr morgens sollten unserer Flugzeuge von der Startbahn in Bad Saulgau abheben. Die geplante Route verlief durch die Kontrollzone von Stuttgart, weiter Richtung Aschaffenburg, östlich an Frankfurt vorbei, direkt über Gießen und das wunderschöne Sauerland nach Soest. Dort angekommen planten wir mit einer schönen Pause, mit Kaffee und Kuchen für unser leibliches Wohl und Super Plus für das Wohl der Flugzeuge. Anschließend weiter durch die Kontrollzone von Münster Osnabrück, vorbei an Ibbenbüren, Papenburg, Aurich nach Baltrum.
Unsere Sachen waren gut verstaut, die Flugzeuge getankt und intensiv gecheckt, sodass wir uns nur noch reinsetzten mussten um die Nordseetour zu beginnen. Das gute Wetter hatten wir ja schon Weihnachten 2018 bestellt. Temperaturen zwischen 25 und 30 Grad, Sonnenschein mit 3/8 Bewölkung in mindestens 3.000 Meter, Sichten von größer 50 Kilometer und 20 km/h Rückenwind standen auf dem Bestellzettel. Nur irgendwie hatte ich das Lieferdatum falsch angegeben. 16 Grad, Wolken in 300 bis 600 Meter über Grund, stärkere Regengebiete entlang der schwäbischen Alb, Taunus und über dem Sauerland, Sichten von knapp 10 Kilometer und Nord-Westwind mit bis zu 45km/h hatte uns der Wetterbote geliefert. Das veranlasste uns dazu um 09:00 Uhr morgens mit Kaffee und Kuchen zu beginnen und mit Hilfe des deutschen Wetterdienstes ein mögliches Zeitfenster zu finden. Der direkte Weg über die schwäbische Alb war ausgeschlossen. Und auch das Sauerland schien nicht zu wollen, dass sich an diesem Tag Flugzeuge durch Ihr Hoheitsgebiet bewegten.
Zwischen Schwarzwald und Alb schien das Wetter „etwas besser“ zu sein und so beschlossen wir gegen 11:00 Uhr zu starten. Notfalls würden wir irgendwo zwischenlanden und auf das nächste Wetterfenster warten. Wir hatten ja Urlaub und kein Zeitdruck. Die Formationsanordnung war schnell klar. Kaddi und ich flogen mit dem UL vor. Die anderen folgten unauffällig. (Sehr unauffällig) Auch die Aufgabenverteilung bei uns im Cockpit war keiner Diskussion würdig. Sie fliegt und ich kümmere mich um Navigation und Funk. Eine Konstellation, die wir auch schon auf der letzten deutschen Meisterschaft ausprobiert hatten und für die nächste noch perfektionieren wollen.
Quietschi schien sich sehr gut mit dem Wetter zu verstehen und arrangierte für uns eine Route westlich an der schwäbischen Alb vorbei, über Pforzheim, Speyer und Mannheim Richtung Bad Kreuznach. Ab dort folgten wir den Rheinkonturen über Koblenz nach Bonn. Ab und zu mussten wir ein paar tiefe Wolken, sowie ein paar Regenschauern ausweichen. Das begründete auch unseren künstlerischen Zick-Zack-Kurs, den gefühlte 20 Personen mittels FlightRadar von Bad Saulgau aus beobachteten.
Auf Höhe des Siebengebirges mussten wir dann doch ein Zwischenstopp in Bad Neuenahr einlegen, um das Regengebiet an uns vorbeiziehen zu lassen. Nach zweieinhalb Stunden Flugzeit war der Zeitpunkt auch nicht schlecht, um sich kurz die Beine zu vertreten und den weiteren Flug zu planen. Beim Anflug auf Bad Neuenahr zeigte Kaddi auch hier, wie eine Platzrunde unter einer gewissen künstlerischen Freiheit aussehen kann. Nur das wir dieses mal kein Regengebiet oder tiefe Wolken umfliegen mussten. Die anderen beiden Flugzeuge folgten uns unauffällig.
Nach einer einstündigen Pause planten wir weiter zu fliegen. Von Bad Neuenahr aus durch die Kontrollzone von Köln Bonn, weiter über Wuppertal, Bochum nach Borkenberge um Sprit für die letzte Teiletappe zu tanken. Kurz vor Köln Bonn mussten wir nochmal durch ein keines Regengebiet fliegen. Danach wurde das Wetter schlagartig besser. Das Bergische Land und das Ruhgebiet zeigten sich im schönsten Sonnenschein und Dank des starken Gegenwindes blieb uns gefühlt genug Zeit einigen Kühen beim Grasen zuzusehen und den Landwirten die nächste Seite der Bildzeitung aufzuschlagen. Völlig unbeeindruckt von der entschleunigten Atmosphäre war hingegen die Tankuhr unserer Flugzeuge. Diese lief konsequent Richtung Ebbe und nötigte uns 30 Kilometer vor Borkenberge in den Sparmodus überzugehen.
Nachdem wir in Borkenberge gelandet waren und die Luft in den Tanks komplett durch Sprit ersetzt hatten, starteten wir die letzte Etappe über Dülmen, Lingen, Meppen, Papenburg und Leer, Richtung Baltrum. Aufgrund der geschlossene Wolkendecke, die etwas schlechter gewordenen Sichtverhältnisse und das nicht vorhandenen Wasser konnten wir die Nordsee relativ spät erkennen. Die starke Nordseebrise spürten wir hingegen deutlich ehr. Und so war es nicht erstaunlich, dass wir erst gegen 18:30 Uhr auf die Frequenz von Baltrum wechselten. Dass um diese Uhrzeit die Flugleitung nicht mehr besetzt war, bestätigte nicht nur die völlige Leere im Funk, sondern auch einer der beiden Betriebszeiten, die auf der Internetseite stand. Wir entschlossen uns an unserem Ferienhaus vorbei nach Langeoog zu fliegen um von dort aus irgendwie nach Baltrum zu kommen. Hinter uns standen knapp 700 Kilometer, sechs Stunden Flugzeit, Wetterbedingungen bei denen wir gefühlt durch sämtliche GAFOR-Farben gefräst sind und das komische Gefühl, dass knapp 10 Kilometer weiter unsere Unterkunft steht, welche wir nicht erreichen konnten. Vor uns stand das Paradebeispiel der nordfriesischen Moin-Mentalität, der sich gefühlte Stunden ganz in Ruhe mit anderen Themen beschäftigte, bevor er uns mitteilte, dass es ist wie es ist. Eine Unterkunft auf Langeoog sei ausgeschlossen und nach Baltrum kommt man nicht mehr. Situativ bedingt viel mir als halbintegrierter Schwabe mit sauerländischem Temperament die Konversation mit dem nordfriesischen Urgestein nicht leicht. Dennoch konnten wir nach einiger Zeit die private Telefonnummer von dem baltrumer Flugplatzbetreiber ergattern und uns sofort auf dem Weg machen.
Die wirklich letzte Tagesetappe führte uns aus der Platzrunde von Langeeog raus, direkt in die Platzrunde von Baltrum rein, zur Landung auf die 350 Meter Piste. Flugzeit sieben Minuten. Schnell noch die Formalitäten per Funk geklärt, die Flugzeuge festgeschurrt, Quietschi als Wachente aufgestellt, bevor wir den Fußmarsch Richtung Ferienhaus antraten. Anschließend ging es noch was essen, bevor wir uns in die horizontale begaben.
In den nächsten drei Tagen wollten wir so viele Inseln wie möglich anfliegen. Auch Helgoland sollte mit dabei sein. Aus wettertechnischen Gründen viel dieser Flug leider aus. Allgemein passte das Wetter an der Nordsee nicht so gut zu den Klamotten, die ich in meinem Koffer vorgefunden hatte. Blauer Himmel, 27 bis 30 Grad und ab und zu ein weißes Wölkchen konnten wir auf sämtlichen Webcams in Deutschland bestaunen. Nicht aber an der Nordsee. Und so blieb die Temperatur während der nächsten vier Tage konstant zwischen 15 und 20 Grad, die Wolkenuntergrenze zwischen 300 und 500 Meter, der Wind bei 20 bis 25 Knoten, die Sicht zwischen 10 und 20 Kilometer und die Sonne weg. Nur der Regen und das Wasser beglückten uns mit abwechslungsreichen Erscheinungen.
All dies tat der wirklich guten Stimmung nicht einen Hauch eines Abbruchs. Es hätte auch die Sonne scheinen können, wir hätten trotzdem beste Laune gehabt.
Und so entschieden wir uns immer dorthin zu fliegen wo wir wettertechnisch hinfliegen konnten. Hauptsache unsere Flugzeuge berührten spätestens um 19:00 Uhr die Landebahn von Baltrum. An dieser Stelle möchten wir uns nochmal für die tolle Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft des Flugplatzbetreibers auf Baltrum bedanken. Ein richtiger Wohlfühlflugplatz.
Obwohl wir immer kurzfristig entschieden haben, was wir unternehmen wollten, waren die Tage gefühlt so strukturiert wie der Fahrplan der deutschen Bahn. Um 08:00 Uhr Frühstück, danach den Flieger startklar gemacht und das erste Ziel vereinbart. Hinfliegen => landen => gucken => essen => weiterfliegen => landen => gucken => essen, => weiterfliegen => landen => gucken => essen … => schlafen. Wir kamen überall an. Nur zur welcher Zeit war uns nicht immer so wichtig.
Am Montag musste unsere Spontanität dann doch ein bisschen weichen. Um 17:00 Uhr hatten wir eine Inselrundfahrt mit der Pferdekutsche organisiert. Die anfänglichen Bedenken, dass wir in knapp einer Stunde nur einen kleinen Teil der Stadt zu sehen bekommen, verfielen relativ schnell. Dreimal rechts, viermal links und zwei kleinere Beschleunigungsphasen reichten völlig aus, um das notwendigste zu sehen und die wichtigsten Informationen zu bekommen. Anschließend gliederten wir uns wieder in die altbewährten Abläufe ein, ließen den Abend bei einem schönen Wein ausklingen und genossen die tolle Gemeinschaft.
Nachdem wir am Dienstag die letzten Ziele angeflogen hatten, stand noch die obligatorische Wattbegehung an. Das Watt ist immer eine gute Möglichkeit aus sauberer Kleidung, dreckige Kleidung zu machen. Und so dauerte es auch nicht lange, bis die erste bräunliche Masse die physikalischen Eigenschaften einer Flugparabel kennenlernte, bevor sie ohne abzufangen auf den anderen landete. Etwas länger hingegen dauerte die Reinigung und Trocknung der wohlriechenden Kleidung, die wir am Folgetag aus geruchsgründen gut verstauen mussten.
Die Wetterbedingungen für den Folgetag waren gut. In Bad Saulgau erwarteten uns sommerliche Temperaturen, blauer Himmel, wenig Wind und ein tolles Essen in unserem neuen Flugplatzrestaurant. Nach einem ausgiebigen Frühstück machten wir uns startklar und verließen um 10:30 Uhr die Nordseeinsel Richtung Süden. Der Flug führte uns vorbei an Papenburg, Ibbenbüren, durch die Kontrollzone von Münster Osnabrück nach Münster-Telgte zum Tanken. Diesmal erlaubte uns das Wetter einen geradlinigen Kurs zu fliegen. So geradlinig, dass es fast schon ungewohnt langweilig für Kaddi und mich wurde. Sie brauchte unbedingt noch eine kleine Aufgabe und entschloss sich die Platzrunde von Telgte so präzise wie möglich abzufliegen. Quietschi und ich waren anfangs etwas irritiert, kamen mit der etwas neuen Situation aber dann sehr gut zurecht.
Nachdem wir unsere Flugzeuge betankt hatten, starteten wir zur unserer letzten Etappe, über Soest, Schmallenberg, Gießen, Aschaffenburg, durch die Kontrollzone von Stuttgart, Richtung Bad Saulgau. Rund 2,5h Flugzeit standen noch vor uns. Ich freute mich auf den Anblick der vielen Talsperren im Sauerland und bereitete mich schon innerlich als Reiseführer meiner alten Heimat vor.
Das Sauerland tat zumindest alles, um sich von seiner wahren Seite zu zeigen. Wolkenbasis und Sichten wanderten im GAFOR-Diagramm immer mehr nach unten links und das Rothaargebirge vor uns schien sehr kontaktfreudig mit den Wolken zu sein. Wir hingegen suchten dann doch lieber den Kontakt mit Kaffee und Kuchen und schwebten in Meschede-Schüren ein, um auf ein besseres Wetterfenster zu warten. Ich brauchte es gar nicht mehr versuchen meine alte Heimat schön zu reden. Sie brauchten nur die Blicke nach oben richten, schon flossen sämtlich Argumente dahin. Gießen meldete beste Flugbedingungen und in Bad Saulgau war Sonnenschutzfaktor 30 Pflicht. Nach einer weiteren Stunde Wartezeit waren die Wetterbedingungen etwas besser geworden und wir planten weiter Richtung Allendorf-Eder zu fliegen. Von dort aus über Marburg Richtung Gießen. Ein paar tiefe Wolken standen der direkten Route noch im Wege und so schlängelten wir uns entlang der Täler Richtung Gießen.
Blauer Himmel, Segelflugzeuge die in starken Aufwinden kreisten und Sichten, wie ich Sie eigentlich ein halbes Jahr vorher bestellt hatte führten dazu, dass ich das erste Mal meine fast eingestaubte Sonnenbrille rausholen musste.
Vorbei an Mosbach, Heilbronn und Ludwigsburg, meldete ich uns als Formation bei Stuttgart an und holte uns die Freigabe zum Durchflug durch die Kontrollzone. Der Fluglotse hatte irgendwie Interesse diese Konstellation etwas näher zu betrachten und gab uns unerwartet die Freigabe zum Formationsüberflug über die Piste 25. Vorbei an wartenden Privatjets und winkenden Flughafenmitarbeitern flogen wir schnellstmöglich die Piste entlang, in der Hoffnung das wir aufgrund unserer Geschwindigkeit nicht den kompletten Flughafenverkehr lahmlegten. Hinter der Schwelle lotste uns der freundliche Mensch auf dem Tower direkt auf Kurs nach Bad Saulgau. Ein tolles Erlebnis, welches uns noch einige Zeit begleitete. Nördlich von Mengen hörten wir dann die bekannten Funksprüche der in Bad Saulgau stationierten Fallschirmspringermaschine. Spätestens jetzt wurde uns bewusst, dass sich der tolle Ausflug dem Ende neigt und wir in ein paar Minuten in die Platzrunde unseres Heimatflugplatzes einfliegen.
Einerseits freuten wir uns auf die Ankunft und das gemeinsame Essen mit Freunden und Bekannten. Andererseits wäre auch noch genug Zeit um den Flieger voll zu tanken und weiter Richtung Mittelmeer zu fliegen. Diese Idee schien nicht nur Kaddi und mir zu gefallen, sondern auch Quietschi zu begeistern. Und so wunderte uns das Rollverhalten des Flugzeugs nicht, welches nach der Landung immer wieder Richtung Tankstelle wollte und nur mit sehr viel innerlicher Überzeugungsarbeit den Weg zur Halle fand.
Nachdem die Flugzeuge ausgeladen, gewaschen und eingehalt waren, genießten wir noch das gemeinsame Essen und ließen die letzten fünf Tage Revue passieren. Fünf Tage, 13 Stunden Gesamtflugzeit, 11 verschiedene Flugplätze und jede Menge Spaß war die Bilanz einer unvergesslichen Tour, die mit Sicherheit nicht die letzte gewesen ist.